Grußwort

Alfred Grosser

Alfred Grosser

19. Dezember 1933 : der jüdische Frankfurter Kinderarzt Paul Grosser, mit Familie emigriert, kommt in Saint Germain en Laye (bei Paris) an. 4. Januar 1934 : Mein erster Schultag ohne Sprachkenntnis im Collège municipal.1. Februar: ich werde neun. 6. Februar Tod des Vaters. Die Mutter eröffnet ein Kinderheim. 1. Oktober 1937 : Lily Grosser mit beiden Kinder französisch naturalisiert. Da bin ich schon seit langem voll integriert. Dank den wunderbaren Lehrerinnen, dank der Pfadfinder. Aber doch im Juni 1940 Fahrradflucht vor den Deutschen mit der Schwester (die im April 1941 an den medizinischen Konsequenzen stirbt). In Südfrankreich, schliesslich "unterirdisch" in Marseille. Nach Kriegsende, normale Karriere in französischer Universität und Medien. 1997 heisst mein Memoiren Buch Une vie de Français. Und ich ärgere mich, wenn ein deutscher Medienmensch mich vorstellt mit: "In Frankfurt geboren. Lebt in Frankreich." Ich "lebe" nicht in Frankreich.. Ich bin Franzose und wäre es auch noch, wenn ich in München oder Hamburg leben würde !

Aber ab 1945, Gefühl einer Mitverantwortung für die Zukunft der freiheitlichen Demokratie in Deutschland, zusammen mit den ehemaligen Gegnern des Hitler-Regimes, u.A. Walter Kolb, Oberbürgermeister on Frankfurt, dem ich 1947 begegnete bei meiner ersten sechs wochenlange Reise durch die drei westlichen Zonen. Dann Artikel-Reihe in Combat über die deutsche Jugend und die Notwendigkeit, die französische Grenze für sie aufzumachen. Von 1948 bis 1967, Generalsekretär des Comité français d'échanges avec l'Allemagne nouvelle. Was bedeutet seit langem Deutschland für mich ? Selbstzitat aus Mein Deutschland (1993) : "Es geht um das ständige Gefühl einer Mitverantwortung, eines Mitwirkenwollens, -dürfens und - könnens. Als Begleiter von draussen, der innen dabei ist und mit Teilnahme als Teilnehmer miterlebt."

Weil ich Franzose bin, habe ich die französische Politik im Algerien-Krieg hart angegriffen. Da meine vier Grosseltern Juden waren, fühle ich mich genötigt, Israels Politik gegenüber den Palästinensern hart zu kritisieren. Die zwei Werte für Europa, die nicht genügend verstanden werden: die Sympathie für das Leiden der Anderen, vor allem der Besiegten, und die Distanz zu den eigenen Zugehörigkeiten, die diese Sympathie ermöglicht.

Alfred Grosser


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